Du kannst es nur vermasseln


Es gibt ihn immer, jedes Jahr, zum gleichen Tag im November. Dieses lang gedehnte ausatmen und sich insgeheim auf die Schulter klopfen. Boar ey. Und Alter, du hast es geschafft. Dieser Moment, nach dem man die Uhr stellen kann, kommt direkt nach dem Aufwachen morgens, gefolgt von exzessivem Recken und Strecken im Bett. YES! Ich habe nicht mehr Geburtstag und habe es damit auch überstanden Geburtstag zu haben. Ich kann euch nicht sagen, was das für eine Erleichterung für mich darstellt. Und ich weiß: wieder ein Jahr Ruhe. Und ja, wahrscheinlich werde ich diese Geburtstags-Neurose niemals wirklich ganz überwinden. Denn das hatte ich mir - wie jedes Jahr - ganz fest vorgenommen. Nur nicht weinen, nur nicht anstrengend werden. Und dann war es fünf Minuten nach Mitternacht und mein Geburtstag und ich habe angefangen zu weinen. Puh. 
Und dabei habe ich jetzt schon soo viel Übung. Ich habe Geburtstage in verschiedensten Ausführungen, Feiern oder Nicht-Feiern verbracht. Das alles hat nichts gebracht. So bald es mein Geburtstag ist, fühle ich mich nicht in meinem Körper. Fühle ich mich, als wäre ich im falschen Film und so, als wäre es jemand anders der heute vor hunderten von Jahren geboren wurde. Vielleicht ein Verdrängungsprozess, ganz sicher ein bisschen abgefahren. Manchmal verschwindet dieses Gefühl auch im Laufe des Tages, manchmal wird es aber auch noch so richtig schlimm. Und jeder Tag danach ist wie nach einem schlimmen Katertag aufzuwachen und zu wissen es ist alles wieder gut. 

Zu dem bereits schwer vorbelasteten Verhältnis zu meinem Geburtstag und meinen selbsterfüllenden Prophezeihungen, kommt natürlich noch die gesellschaftliche Erwartung an ein glückliches und über beide Ohren strahlendes Geburtstagskind (dem ich nicht gerecht werden kann/ will/ muss) sowie die gesellschaftlichen Vorstellungen zum eigentlichen Altersprozess, der sich natürlich nicht nur mit dem Tag deiner Geburt jedes Jahr vollzieht, aber eben so etwas wie eine Stellvertreter Position hat. Jetzt bist du wieder älter. Jetzt bist du diese Zahl. Jetzt bist du alt und diese Zahl! Und mit diesem "Alter" sind wiederum bestimmte (eigene und gesellschaftlich konstruierte) Vorstellungen verknüpft. 
Und so kam es, dass ich heute morgen auf dem Weg zur Arbeit an einem Plakat vorbei gelaufen bin, auf dem "junge Leute" für Auslandaufenthalte angeworben werden sollten und ich mich erst kurz angesprochen gefühlt und mich dann gefragt habe, ob ich jetzt überhaupt noch zu diesen "jungen Leuten" zähle. 
Und das ist natürlich aus vielerlei Hinsicht problematisch. Denn 1. es kommt ja schließlich immer auf die eigene Empfindung und auf sämtliche Relationen an, 2. war diese Werbung natürlich eindeutig an Menschen im Alter ab 17 gerichtet (also nein, nicht mehr diese "junge Leute") und 3. ist dieses Plakat natürlich sowieso völlig falsch und Realitätsfern, da gerade niemand locker flockig ins Ausland fliegt, um nach seiner riesigen Abifete endlich mal in Indien mit den Locals abzuhängen.  

Und noch dazu kommt dann dieses Aussehen, also so wie du wirklich aussiehst, so wie du aussehen willst und so, wie andere wollen dass du aussehen sollst "mit diesem Alter". Ich wurde gefühlt bis vorgestern immer noch für minderjährig gehalten und beim Radler kaufen nach dem Ausweis gefragt. Ich glaube aber, diese Zeiten sind jetzt endgültig vorbei. Nach neusten Recherchen werde ich auf mindestens Anfang 20 geschätzt. Ok, vielleicht liegt es auch einfach daran dass ich jetzt einen Job habe (noch) und mich machmal bewusst "erwachsen anziehe" (haha ich kann es nicht fassen, aber es stimmt). Außerdem, als ich das letzte Mal mein Gesicht gecheckt habe, erschien es mir bei weitem nicht mehr so pausbäckig wie vorgestern und Falten und graue Haare habe ich auch einige gezählt. 
Mit meinen Kolleginnen hatte ich vor einiger Zeit auch so eine Diskussion, also wie alt wir "sind" und wie alt wir uns "fühlen" und wie alt wie "wirken". Das alles in Gänsefüsschen weil ja auch irgendwie bekloppt. Aber wir waren uns ziemlich einig, dass es neben dem Aussehen auch darauf ankommt, wie Menschen sprechen, gestikulieren, laufen und sonst so "wirken", und haben es im Arbeitskontext wie immer in "albern" oder "seriös" herunter gebrochen. Vielleicht sollte man hier differenzieren, aber ich habe heute bei der Sitzung bestimmt fünfmal "krass" und zweimal "scheiße" gesagt. Scheiße. 

Also das zum Thema Alter(n); du kannst es nur vermasseln. 
 

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